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(Heil)Pädagogik mit Pferden – Depression im Jugendalter

Stolz, Mut und Begeisterung zeigen sich in den Gesichtern der Jugendlichen, wenn sie mit den Pferden arbeiten. Während die ersten sich bereits ans Galoppieren trauen, gewöhnen sich andere Teilnehmende erst noch an den Umgang mit den großen Tieren. Doch alle haben etwas gemeinsam: Die jungen Patientinnen und Patienten der Kinder- und Jugendpsychiatrie des UKM (Universitätsklinikum Münster) profitieren bei ihrer Behandlung von der pferdgestützten (Heil)Pädagogik auf dem Hof Krützkemper am Rande von Münster und können gleichzeitig den Klinikalltag für einen kurzen Moment vergessen.

- Autorin: Elke Lindner -

Seit 2020 gibt es das Projekt „Aktivierung und Coaching mit dem Pferd“ für depressive Jugendliche in der Tagesklinik in Roxel des Universitätsklinikums Münster (UKM). Die Sozial- und Erlebnispädagogin Sabine Flock begleitet wöchentlich vier Patienten zum Hof Krützkemper, welcher nur einige Fahrradminuten von der Tagesklinik entfernt ist. Sie ist mitverantwortlich für das Projekt unter der Leitung von Dr. Antje Herbst (leitende Oberärztin, stellvertretende Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie,-psychosomatik und -psychotherapie am UKM).

„Mir hat besonders die Nähe zu den Pferden geholfen. Durch den Kontakt mit den Tieren konnte ich meine Emotionen wahrnehmen und regulieren. Durch die körperliche Aktivität gelang es mir Druck loszuwerden.“

Jona (17)

Jede Anforderung kostet Energie
„Ich bin überzeugt davon, dass die Jugendlichen durch die Spiegelung des Tieres und die Arbeit mit den Pferden wesentlich bereiter sind, sich zu bewegen und an Körperhaltung sowie Körpersprache zu arbeiten“, sagt Sabine Flock. „Den oft antriebslosen Jugendlichen fällt es in einer depressiven Episode besonders schwer, sich regelmäßig zu bewegen. Jede Anforderung kostet sie viel Energie, was auch den Start in die einzelnen Therapiestunden erschweren kann.“ Mark (16) sagt: „Anfangs fand ich die Förderung mit dem Pferd blöd. Es war schwer sich darauf einzulassen.


Aber an sich ist es sehr beruhigend, steigert meine Stimmung und verbessert den Tag“. Auch die anderen Jugendlichen sind sich einig. „Die Arbeit mit dem Pferd hat viel Spaß gemacht und ist eine tolle Ergänzung zur normalen Therapie“, sagt Mara (14). „Egal wie schlecht es mir ging, nach dem Arbeiten mit den Pferden ging es mir besser.“ Auch Lea (16) bestätigt: „Die pferdgestützte Heilpädagogik hat es bei jedem geschafft, die Laune zu heben. Die Einheiten sind immer sehr vielseitig, selbst wenn man schon Erfahrung mit Pferden hatte, konnte man viel Neues lernen.“

„Ich hatte weniger negative Gefühle, da ich merkte, dass sich diese direkt auf das Pferd widerspiegeln. So musste ich mir selbst immer wieder zureden, was mir sehr geholfen hat.“

Sophie (12)

Persönlichkeitsentwicklung
Diplom-Pädagogin Claudia Augenstein, ausgebildete Reitund Voltigierpädagogin (DKThR), führt die pferdgestützte (Heil)Pädagogik mit den Jugendlichen durch. Sie sagt: „In der Förderung mit dem Pferd erlebe ich immer wieder, wie Körper, Geist und Seele zusammenspielen und wie Ganzheitlichkeit funktioniert. Die körperliche Konstitution verbessert sich im Umgang mit dem Pferd und somit auch die seelische Verfassung und der mentale Zustand.“ Claudia Augenstein merkt in ihrer gesamten Arbeit, dass das Erlernen von Verantwortung einem Lebewesen gegenüber den Menschen in seiner ganzen Persönlichkeitsentwicklung prägt. Genau das hat hoffentlich viele positive Langzeiteffekte. Die Jugendlichen verbessern ihre soziale Kompetenz, überwinden Ängste und werden mutiger.“ Auch Michael (16) findet es besonders hilfreich, seine Körperhaltung zu verändern und es gelingt ihm so mehr Selbstvertrauen aufzubauen. „Zum jetzigen Zeitpunkt konnten schon mehr als 34 Patienten an dem Projekt teilnehmen“, sagt Verena Landwehr, Psychologin A.Sc. am UKM. Sie ist unter der Leitung von Dr. Antje Herbst mitverantwortlich für das Projekt. Sie erklärt: "Auch die ersten statistischen Studienergebnisse bestätigen die positiven Rückmeldungen der Jugendlichen zu den Einheiten der pferdgestützten Heilpädagogik.“ Vor und nach jeder Einheit schätzen die Jugendlichen ihre Stimmung mittels einer zehnstufigen Stimmungsskala ein. Durchschnittlich verbesserte sich die Stimmung der Jugendlichen im Laufe einer reittherapeutischen Einheit um zwei Skalenpunkte nach oben. Zudem füllen die Jugendlichen zu Beginn dermtagesklinischen Behandlung und am Ende dieser das Beck-Depressions-Inventar (BDI) aus. Das ist ein Fragebogen, welcher den Grad der Depressivität misst. Zum Zeitpunkt der Entlassung zeigte sich im BDI eine signifikante Verbesserung des Krankheitsgrades. „Bei 20 Prozent der Jugendlichen lag keine Depression mehr vor, bei 16,7 Prozent nur noch eine minimale depressive Episode. Dies bestätigt allerdings aktuell eher die Wirksamkeit des Gesamtkonzeptes der tagesklinischen Behandlung“, erklärt Landwehr mit dem Verweis, dass es eine größere Stichprobe und eine Vergleichsgruppe bräuchte, um den singulären Effekt der pferdgestützten (Heil)Pädagogik genauer berechnen zu können.

„Pferde sind ausgesprochen feinfühlige Lebewesen, die vielfältige Kommunikation ohne Worte ermöglichen und jede Menge positiver Energie schenken. Pferde lösen bei Kindern und Jugendlichen regelhaft eine hohe Motivation zur Mitarbeit aus und sind hervorragend als Medium in der therapeutischen Arbeit geeignet.“

Dr. Antje Herbst

Fazit & Finanzierung

Aktuell fehlen hierzu leider weiterhin die finanziellen und personellen Ressourcen, weshalb sich die Beteiligten umso mehr über den Einsatz des Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten (DKThR) freuen. Für das Jahr 2023 übernimmt das DKThR (Bundesfachverband mit Sitz in Warendorf) aus seinem Fonds die Kosten für das Projekt. „Wir hoffen, auch noch weiterhin viele Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen zu können und ihnen durch die Arbeit mit den Pferden zu helfen, ihr Selbstvertrauen zu steigern und sich wieder selbstwirksam zu fühlen“, sagt Verena Landwehr. „Und manchmal darf es auch ‚nur‘ eine Ablenkung vom Alltag sein, denn schon diese helfen in ihrer Regelmäßigkeit in einer depressiven Phase und sind oft ein Lichtblick, der Kraft für Veränderung gibt.“

Foto: UKM/Erk Wibberg

Gemeinsam was bewegen: v.l. Dr. Antje Herbst (UKM), Elke Lindner (DKThR), Sabine Flock (Sozial- und Erlebnispädagogin UKM), Claudia Augenstein (Hof Krützkemper), Ina El Kobbia (Geschäftsführerin DKThR) und Verena Landwehr (Psychologin M.Sc. UKM) besuchten das geförderte Projekt vor Ort.

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